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      Lyrikmail 39/2005 07.10.2005
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      Herbsttag

      Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.
      Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren, und auf den Fluren laß die Winde los.

      Befiehl den letzten Früchten voll zu sein; gieb ihnen noch zwei südlichere Tage, dränge sie zur Vollendung hin und jage die letzte Süße in den schweren Wein.

      Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
      Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben, wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben und wird in den Alleen hin und her unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.

      Rainer Maria Rilke
      (1875-1926)

      aus: Das Buch der Bilder.

      #27502
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        Lyrikmail 29/2006 24.07.2006
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        Im Süden.

        So häng’ ich denn auf krummem Aste
        Und schaukle meine Müdigkeit.
        Ein Vogel lud mich her zu Gaste,
        Ein Vogelnest ist’s, drin ich raste.
        Wo bin ich doch? Ach, weit! Ach, weit!
        Das weiße Meer liegt eingeschlafen,
        Und purpurn steht ein Segel drauf.
        Fels, Feigenbäume, Thurm und Hafen,
        Idylle rings, Geblök von Schafen, –
        Unschuld des Südens, nimm mich auf!
        Nur Schritt für Schritt – das ist kein Leben, Stets Bein vor Bein macht deutsch und schwer.
        Ich hieß den Wind mich aufwärts heben,
        Ich lernte mit den Vögeln Schweben, –
        Nach Süden flog ich über’s Meer.
        Vernunft! Verdrießliches Geschäfte!
        Das bringt uns allzubald an’s Ziel!
        Im Fliegen lernt’ ich, was mich äffte, – Schon fühl’ ich Muth und Blut und Säfte Zu neuem Leben, neuem Spiel?
        Einsam zu denken nenn’ ich weise,
        Doch einsam singen – wäre dumm!
        So hört ein Lied zu eurem Preise
        Und setzt euch still um mich im Kreise,
        Ihr schlimmen Vögelchen, herum!
        So jung, so falsch, so umgetrieben
        Scheint ganz ihr mir gemacht zum Lieben
        Und jedem schönen Zeitvertreib?
        Im Norden – ich gesteh’s mit Zaudern –
        Liebt’ ich ein Weibchen, alt zum Schaudern:
        “Die Wahrheit” hieß dies alte Weib?

        Friedrich Nietzsche
        (1844-1900)

        aus: Lieder des Prinzen Vogelfrei

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